Warum gibt es eigentlich Menschen, die uns schon nach der ersten Begegnung völlig unsympathisch sind? Auch wenn ich es nicht wahrhaben will – und ich denke, da geht es Ihnen ähnlich – kann ich doch manchmal gewisse Vorurteile einfach nicht abstellen. Zwar lasse ich das die betroffene Person nicht spüren, und bin auch sehr schnell dazu bereit, diese Vorurteile abzubauen, aber ganz unvoreingenommen ist man manchmal einfach nicht. Das sieht man schon allein daran, dass der Partner/die Partnerin auffällig selten mit dem Exfreund/der Exfreundin harmoniert. Was man natürlich auch nachvollziehen kann. Die Frage, die sich uns nun aber stellt, lautet: „Wie können wir zu einem so gefestigten Urteil über einen Menschen kommen, den wir nicht einmal ansatzweise kennen?“. Im folgenden möchte ich Ihnen also darlegen, welchen Trick unser Gehirn benutzt, um andere Menschen zu kategorisieren. Auch werde ich Ihnen die Gefahren und die enormen Chancen aufzeigen, die aus diesem Verhalten hervorgehen.
So schätzt unser Gehirn andere einWie kommt unser Gehirn eigentlich dazu, jemanden schon nach der ersten Begegnung in „eine Schublade zu stecken“? Eine Möglichkeit wäre, dass wir das Verhalten und das Gesagte der anderen Person in eine bestimmte Richtung interpretieren und schließlich ein Urteil fällen. „Wenn er davon spricht, dass er sich für Autos interessiert, dann meint er damit, dass er sehr viel Freizeit in dieses Gebiet investiert.“ Das wäre eine Interpretation. Unser Gehirn geht aber noch viel weiter, um jemanden einzuschätzen. „Wenn er davon spricht, dass er sich für Autos interessiert, dann ist er bestimmt jemand, der all sein Geld in sein Auto steckt. Bestimmt hat er einen furchtbar lauten, tiefer gelegten Wagen, mit dem er durch die Stadt fährt um anzugeben. Mit so einem Angeber möchte ich nichts zu tun haben.“ Wir komplettieren unser Wissen, das wir von der Person haben, mit unserer Phantasie. „Wenn er das und das sagt, ist er bestimmt auch so und so.“
Ironischer Weise sind diese Einschätzungen durch uns selbst bestimmt. Unsere Gefühlslage, unsere Erwartungen oder das was wir von dem anderen „gehört haben“ (sein Ruf) beeinflussen unser Urteil maßgeblich. Die Person selbst spielt dabei häufig nur eine untergeordnete Rolle. Selbst die Kleidung die sie trägt, ist weniger ihre „Schuld“, sich selbst als etwas zu kategorisieren, sondern vielmehr Anhaltspunkt für unsere eigenen Gedanken: „Wer so etwas trägt, muss ein Angeber sein.“
Selektion durch unser Gehirn
Umgekehrt sind diese Erwartungen und Gefühle nicht nur ergänzend sonder auch selektiv. Wenn wir jemanden für prahlerisch halten, so sehen wir auch hauptsächlich seine prahlerischen Seiten. Dass er oft auch ein lieber, gutmütiger Mensch ist, blenden wir einfach aus.
Zwei Mechanismen der verfälschten Einschätzung
Friedemann Schulz von Thun unterscheidet zwischen zwei „seelischen Mechanismen“ die zu einer Verfälschung des Bildes führen können:
Projektion
Projektionen sind seelische Vorgänge, die sich unerkannt in uns abspielen. Diese projizieren wir auf den anderen. Oft sind das Gefühle, die wir uns selbst nicht eingestehen wollen und stattdessen beim anderen wiederzufinden. Ironischer Weise ist genau das uns dann beim anderen extrem zuwider.
Hermann Hesse schrieb dazu in „Demian“:
„Wenn wir einen Menschen hassen, so hassen wir in seinem Bild etwas, was in uns selber sitzt. Was nicht in uns selber ist, das regt uns nicht auf.“ÜbertragungBei der Übertragung kommt es ähnlich wie bei der Projektion auch zu einer Verfälschung des Bildes. Allerdings nicht aus uns selbst, sondern aus unseren Erinnerungen. Wenn uns ein Mensch an jemanden von früher erinnert, so löst das Gefühle aus, wie wenn es sich bei der neu kennen gelernten Person um die von früher handeln würde. Wir verhalten uns also so, als wäre es die Person aus der Vergangenheit. Dass die Person uns nur an jemanden erinnert und wir uns deshalb anders verhalten, wird uns allerdings nicht bewusst.
Es ist also wichtig zu wissen, dass viele Gefühle die in uns ausgelöst werden, auf Vergangenes zurückgehen. Andersherum müssen Sie sich darüber im Klaren sein, dass diese Erinnerungen auch bei allen anderen Menschen wirken. Wie man Sie also behandelt, kann häufig durch die Erinnerungen kommen, die Sie beim Gegenüber auslösen.
Dieses Phänomen lässt sich durch einen einfachen Trick reduzieren. Wenn Sie jemanden kennen lernen, fragen Sie sich, an wen Sie dieser Mensch erinnert. Falls Ihnen jemand einfällt, machen Sie sich folgendes klar: „Er sieht zwar aus wie die Person, er ist aber nicht die Person. Er kann völlig andere Eigenschaften und ein anderes Verhalten haben. Ich muss mich offen auf seine Art einlassen.“ Dadurch, dass Sie sich klar machen, dass es jemand völlig anderes ist, bewerten Sie die Person nicht unterbewusst.
Mit falschen Einschätzungen auseinandersetzen
Darüber nachzudenken, an wen die fremde Person uns erinnert, reicht natürlich nicht aus. Verfälschte Bilder von Menschen lassen sich überall finden, bei fast jeder Person. Jeder von Ihnen schafft regelmäßig solche verfälschten Bilder. Was können wir also tun? Ganz einfach: akzeptieren oder hinterfragen.
Vorurteile akzeptieren
Wenn wir diese Bilder akzeptieren, spinnen wir uns unsere eigene Realität. Wir agieren in einer Umgebung, die lediglich Produkt unserer eigenen Vorstellungen ist. Von Thun spricht vom Käfig aus den eigenen Phantasien, der uns von unseren Mitmenschen isoliert. Wir sprechen nicht zu realen Menschen, sondern zu Figuren, die wir selbst erschaffen haben. Dass diese Engstirnigkeit ungerecht gegenüber den anderen ist, weil wir ihnen keine Chance geben, ihr wahres Ich zu zeigen, liegt auf der Hand. Wir schaffen ein Bild das ihnen nicht entspricht, und halten sie darin fest. Zu allem Unglück kommt noch, dass wir unsere Wahrnehmungen stets selektieren. Bei jemanden, den wir für geizig halten, achten wir immer darauf, wie er sich verhält, wenn es um Geld geht. Wenn er der Bedienung Trinkgeld gibt, sagen wir: „Der will doch nur der Bedienung schmeicheln“ oder „Der hat sowieso so viel, dass ihn das gar nicht stört.“. Spricht er uns jedoch auf die 1,60 Euro an, die wir uns von ihm geliehen haben, so sehen wir uns in unserer Meinung bestätigt.
Was also mit unserem Bild vom anderen übereinstimmt, behalten wir im Gedächtnis. Was dem widerspricht, vergessen wir sehr schnell wieder. Denn das würde ja bedeuten, dass unsere Meinung falsch ist.
Vorurteile hinterfragen
Um eigene Phantasien abzubauen, müssen Sie mit der betreffenden Person darüber reden. „Stimmt es eigentlich, dass du so viel Geld in dein Auto investierst? Ich finde es oberflächlich, so viel Wert auf ein Auto zu legen. Warum tust du das?“ Solche direkten Fragen kommen Ihnen sicherlich ungewohnt vor. Aber sie sind so ziemlich der einzige (zuverlässige) Weg, aus Ihrem eigenen Käfig auszubrechen. Umgekehrt können Sie auch etwas über die Meinung des anderen erfahren: „Hältst du mich für einen Versager, nur weil ich ein so altes, verrostetes Auto fahre?“. Um das eigene Bild oder das Bild, das jemand anderes von Ihnen hat, zu überprüfen, müssen Sie den Dialog suchen . Nur so können Sie Klarheit schaffen (manchmal ist es jedoch tatsächlich unmöglich, z.B. bei cholerischen Vorgesetzten).
Angst vor dem offenen Gespräch
Es liegt natürlich die Befürchtung nahe, dass solche Fragen zu intim sind und Ihr Verhältnis zu der Person belasten könnten. Doch in der Regel ist das genaue Gegenteil der Fall. Eine offene Diskussion über falsche Vorstellungen kann Ihr Verhältnis extrem vertiefen. Diese persönliche, offene Beziehung, die dadurch plötzlich entsteht, hat ein enormes Potential. Denn selbst langjährige Bekanntschaften sind häufig nicht in der Lage, über so etwas zu sprechen.
Ihr Bild, das Sie vom Gegenüber haben, auszusprechen, nimmt Ihnen eine große Last von den Schultern. Denn alle unausgesprochenen Gedanken belasten die Kommunikation. Was Sie von der Person denken und erwarten, spiegelt sich immer in dem wieder, was Sie sagen. Selbst wenn es nur das ständige Gefühl ist, möglichst nett sein zu müssen, obwohl Sie am liebsten fluchen würden. Schaffen Sie also Platz in Ihrem Inneren! Denn wo der Hass das Haus verlässt, kann die Liebe einziehen.